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Infantilisierungstheorie

Seminar: Denkfiguren und Argumentationsstrategien in der Medienkritik
Dozent: Dr. Manfred Nagl

Referenten:Heiko Bielinski, Thomas Butz

Infantilisierungstheorie

Das neueste Gesicht der Medienkritik

Hauptvertreter: Robert Bly „Die kindliche Gesellschaft", Kindler München, 1996

Reimer Gronemeyer „Alle Menschen bleiben Kinder", Metropolitan, Düsseldorf

Beispiele für die Beweisführung der Infantilisierungstheorie:

· Guildo Horn, das Massen-Antidepressivium, für die einen Speerspitze der deutschen Trashkultur, für die anderen der Beweis für die fortschreitende Infantilisierung der Gesellschaft.

· Comedy-Boom in TV und Radio (RTL Samstag Nacht, FrühstyxRadio, Feinkost-Zip...), der politische Inhalte komplett außen vorläßt. Beschäftigt wird sich nur noch mit Werbung und der Medienumwelt. Das Niveau ist tief und alle sind gut drauf.
„Da spuckt der Kunde bei Feinkost Zipp lautstark seine Zahnpasta aus:" Da ist ja Sand drin." Frau Werwolf: grummelt, die Verkäuferin übersetzt:" Das ist Senso Duene"."

· Harald Schmidt, ehemals subversiv, bedient sich mittlerweile auch nur noch niveauloser Klischees und macht Witze auf billigster Ebene (z. B. Polenwitze, Ossi-Witze, Schwulenwitze u. s. w.)

Merkmale und Thesen:

· 1/3 der Menschheit bereits der Infantilisierung verfallen

· „vaterlose Gesellschaft" und „Zeitalter des Narzismus" haben sich zu einer radikalen Ego-Gesellschaft vereint

· globale Uniformität

· horizontale, statt vertikaler Vertrautheit, Rituale und Traditionen werden nur noch
innerhalb der horizontalen Peer-Group gepflegt

· Erwachsene entwickeln sich zurück zu Jugendlichen
° Jugendliche sehen keinen Anreiz mehr erwachsen zu werden

· rastloser Aktivismus
° keine Reife über Jahre hinweg mehr möglich
° Erwachsene sind „unfertig" und können sich nicht für eine Lebensform entscheiden

· kein Protestverhalten, kein Auflehnen gegenüber älterer Generation, da sowieso alle gleich jung sind
° inaktiver Trancezustand, der alles so hinnimmt wie es ist

· Genußsucht steht im Vordergrund

· Ästhetisierung und Sexualisierung der Öffentlichkeit
ist jedoch nur oberflächlich und Ausdruck von Furcht vor wirklicher Nähe · Wandlung des sogenannten „Über-Ichs":

° altes „Über-Ich" forderte Werte, wie z. B. Rechtschaffenheit, Disziplin, Edelmut, sexuelle Reinheit, Gehorsam gegenüber Eltern.

° neues „Über-Ich" fordert schnellen Erfolg, Ruhm und Wohlstand
Zwang zur perfekten Selbstdarstellung
Terrorisierung des Menschen durch Demütigung, da diese Ansprüche nie zur vollen Zufriedenheit erfüllt werden können, woraus ein mangelndes Selbstwertgefühl resultiert.

· Die Verunsicherung der Menschen und wachsende Gewalt im Alltag spiegelt sich im infantilen Comedy-Boom wieder.

· Infantilste Medieninhalte werden zum Kult deklariert. Und was unter Kult steht, ist unangreifbar. Wer es kritisiert hat es nicht kapiert...

Rolle der Medien:

· Informative Berichterstattung wird abgelöst durch aggressive und von Neid geprägte Sendungen
° Politikverdrossenheit der Bürger

· Präsentation von „Nicht-Ereignissen"
° Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion wird erschwert

· Medien erhalten durch das neue „Über-Ich" große Macht, da sie eben diese neuen Werte bieten können

· Medien tragen zur Infantilisierung bei mit der Begründung, die Zuschauer wollten es nicht anders und handeln unter dem scheinbaren Druck der Werbeindustrie

· Die Infantilisierung der Programme findet bei den Privatsendern bewußt statt.
Mit „Fernsehen für die ganze Familie" können Werberegulierungen bewußt umgangen werden.

Gründe:

· Einfluß der Werbung schon bei Kindern führt zu einem konsumgeilen „Über-Ich"

· Kinder sind auf sich alleine gestellt, erhalten keine Unterstützung von äußeren Autoritäten und verfallen so dem primitiven Konsumterror

· Besitzgierstimulierender Konsumkapitalismus hat die menschliche Psyche von Grund auf geändert

Folgen und Gefahren dieser Entwicklung:

· Abgeklärtheit und Zynismus

· Aufbau von Scheinwelt als Flucht vor realer Konfrontation

· Keine Kritik mehr an den bestehenden Verhältnissen, dadurch Stagnation und Innovationshemmung · Sprachliche Unbeholfenheit

· Fehlender „Anmut in der Körperbewegung"

· Faulheit

· Verzogenheit

· Womöglich bald keine allgemeinbildenden Schulen mehr

· Anfälligkeit für „faschistoide" Massenbewegungen

Lösung:

· Rückkehr zu alten Initiationsriten (Robert Bly)

· Heranwachsen von Menschen, die gelassen mit Informationsmedien umgehen und zwischen sinnlosem Konsum und sinnvoller Mediennutzung unterscheiden können.

· Vermittlung von Medienkompetenz.

Argumente wider die Infantilisierung:

· Allein die quantitative Feststellung infantiler Phänomene bestätigt nicht die These, daß die gesamte Gesellschaft zunehmend verkindlicht, als auch die, daß das Fernsehen dabei eine maßgeblich verstärkende Rolle einnimmt.

· Das sich Jugendliche immer weniger in Parteien und Organisationen engagieren, liegt vor allem am Versagen der Institutionen. Sie sind deshalb keinesfalls unpolitischer und verantwortungsloser, sondern suchen sich nur neue Wege des gesellschaftlichen Engagements außerhalb der etablierten Gruppierungen.

· Kritik kommt meistens von der älteren Generation, die mit der neusesten Medienentwicklung nicht mehr mithalten kann. Sie sind überfordert durch die massive Zunahme von Fernsehkanälen und können der jungen Generation, die wie selbstverständlich und spielerisch mit diesen medialen Versatzstücken umgeht nicht mehr folgen und sind verängstigt, bzw. besorgt Positionen zu verlieren, die sie bisher besetzt hielten.

· Ein Beispiel für die zum Teil haasträubende Beweisführung der Infantilisierung:
„Es grassiert eine bemerkenswerte Infantilisierung breitester Bevölkerungsschichten, und die Politiker schauen wie so oft tatenlos zu beziehungsweise weg. Anders läßt sich jedenfalls die überaus große Beliebtheit humoriger Glückwunsch-, Dank- und Gratulationskarten kaum erklären und ebensowenig die ihnen immanente Denkungsart." (NZZ, Heim und Hobby, „Die unerträgliche Lustigkeit des Seins")

Ausgewertete Quellen:

Der Spiegel, „Die Tyrannei des Kindischen", 24. 02. 1997, Nr. 9, Seite 222-226,

Focus, „Gesellschaft mit beschränkter Vernunft", 04. 05. 1998, Nr. 19, Seite 216-219

Frankfurter Rundschau, „Die Fiktionalisierung Floridas. Kampf der Medienkolosse oder muß die Welt nun doch zum Theme Park werden?", 25. 04. 1997, Seite 9

Frankfurter Rundschau, „Viel Papier und wenig Überraschendes. LfR stellt Studie über den Fernsehkonsum in Familien vor." , 07. 05. 1996, Seite 9

Horizont, „Das dunkle der Info-Gesellschaft / Neuerscheinungen über das Ende aller Werte,
die Infantilisierung der Menschen und die Rolle, die die Medien dabei spielen", 05. 04. 1996, Seite 30

Horizont, „Wunderschöne Neue Medienwelt/ „Medien und Ökonomie bilden dynamische Triebfedern des gesellschaftlichen Wandels" / Die neue Rolle der Massenmedien", 06. 03. 1997, Seite 36

Stuttgarter Zeitung, „Lieber ein Witz von Karl Dall / Verdrängt der Comedy-Boom im Radio das Kabarett?", 12. 12. 1995

Süddeutsche Zeitung, „Reglementierte Eingriffe führen in die Sackgasse / Schleusen gegen die Informationsflut", 25. 06. 1997, Seite 207

Süddeutsche Zeitung, „Dauerzustand: halberwachsen / In einem pädagogisch - poetischen Plädoyer liefert Robert Bly ein Bild der kindlichen Gesellschaft", 24. 05. 1997, Seite 905

Die Woche, „TV: total verblödet", 30. 01. 1998, Seite 38

www.medienobservationen.uni-muenchen.de/Infant.html , Ursula Wörner, „Infantilisierung der Gesellschaft - ein mediales Konstrukt ?"

NZZ, Heim und Hobby, „Die unerträgliche Lustigkeit des Seins"

Ulrich Beck „Wider das Lamento über den Werteverfall" (Frankfurt 1997)

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